„Wenn dein Kind bis nach dem Sommer nicht trocken ist, können wir es leider nicht in die größere Gruppe aufnehmen.“ „Am besten nimmst du dir eine Woche Urlaub und ziehst das Töpfchentraining konsequent durch.“ „Es gibt da diese tolle Methode – in drei Tagen ist dein Kind garantiert trocken!“
Solche Aussagen setzen Eltern unter enormen Druck. Sie suggerieren, dass Trockenwerden eine Frage des richtigen „Trainings“ sei. Eine Aufgabe, die es möglichst effizient zu bewältigen gilt. Doch was macht dieser Druck mit unseren Kindern? Und vor allem: Was macht er mit der wertvollen Beziehung zwischen Eltern und Kind?
Vielleicht kennst du das mulmige Gefühl, wenn du von starren Zeitplänen und strengen Methoden hörst. Dein Bauchgefühl sagt dir, dass es einen anderen Weg geben muss. Einen Weg, der die natürliche Entwicklung deines Kindes respektiert und eure Beziehung stärkt, statt sie zu belasten.
Die gute Nachricht ist: Die Wissenschaft gibt deiner Intuition Recht. Studien zeigen, dass ein bedürfnisorientierter Ansatz nicht nur angenehmer für alle Beteiligten ist, sondern auch zu besseren langfristigen Ergebnissen führt als traditionelles Töpfchentraining.
In diesem Artikel erfährst du, warum ein liebevoller, bedürfnisorientierter Weg zum Trockenwerden die bessere Alternative ist und was die Forschung dazu sagt.
Wenig Zeit? Das Wichtigste in Kürze
- Töpfchentraining mit starren Zeitplänen und Druck ist überholt – bedürfnisorientiertes Trockenwerden respektiert den individuellen Entwicklungsweg deines Kindes.
- Wissenschaftliche Studien zeigen: Kinder, die ohne Zwang trocken werden, entwickeln ein besseres Körpergefühl und haben langfristig weniger gesundheitliche Probleme.
- Der beste Zeitpunkt fürs Trockenwerden ist dann, wenn dein Kind Interesse zeigt – nicht, wenn Kita oder Umfeld es verlangen.
- Bedürfnisorientierte Begleitung bedeutet nicht passives Abwarten: Du darfst aktiv unterstützen und Orientierung geben, aber ohne Druck und Stress.
- Ein entspannter Weg zum Trockenwerden berücksichtigt die Bedürfnisse aller: Die deines Kindes UND deine eigenen als Mama oder Papa.
Was ist Töpfchentraining?
Töpfchentraining – schon der Begriff lässt aufhorchen. Er suggeriert, dass das Trockenwerden ein Prozess ist, den wir als Eltern aktiv steuern und „trainieren“ müssen. Ähnlich wie ein Sportler für einen Wettkampf trainiert, soll auch unser Kind nach einem festen Plan eine bestimmte Leistung erbringen.
Dabei ist wichtig zu wissen, dass dieser Begriff, so wie er im Englischen verwendet wird („potty training“) eine viel weniger dramatische Bedeutung hat, als im Deutschen. Im Englischen bezieht sich „potty training“ auf den Lernprozess des Kindes selbst, ohne dass eine starre Methode von außen aufgezwungen wird. Es geht um den Weg, den das Kind mit Unterstützung der Eltern geht.Hierzulande wird mit diesem Begriff häufig eine Methode der Sauberkeitserziehung verbunden, bei dem die Kinder von Bezugspersonen regelmäßig aufs Töpfchen/WC gesetzt werden, ohne dass ein Signal vom Kind ausgeht.
Dieser Ansatz hat seine Wurzeln in den 1920er und 1930er Jahren. Damals herrschte die Überzeugung, dass Kinder durch möglichst frühes und striktes Training zu „guten“ Menschen erzogen werden müssten. Einige der damaligen Methoden erscheinen uns heute geradezu grausam: Das Einführen von Seifenzäpfchen zu festgelegten Zeiten oder das stundenlange Sitzen auf dem Töpfchen gehörten zum Standardrepertoire.
Auch wenn die modernen Versionen des Töpfchentrainings deutlich sanfter daherkommen – die Grundannahmen sind oft die gleichen geblieben: Das Kind soll in einem vorgegebenen Zeitrahmen, meist innerhalb weniger Tage oder Wochen, nach einem festen Schema trocken werden. Dabei setzen die Methoden häufig auf:
- Starre Zeitpläne, wann das Kind auf Toilette muss
- Belohnungssysteme wie Aufkleber oder kleine Geschenke
- Intensive „Übungseinheiten“ über mehrere Tage
- Die Erwartung schneller Erfolge
- Ein festgelegtes Alter, bis zu dem das Kind „fertig“ sein soll
Der Gedanke dahinter ist verlockend: Mit der richtigen Methode, so das Versprechen, lässt sich das Trockenwerden wie ein Projekt managen. Doch dieser Ansatz übersieht etwas Entscheidendes: Kinder sind keine Projektpläne. Sie sind einzigartige kleine Menschen mit individuellen Entwicklungsrhythmen, Bedürfnissen und Ängsten.
Was bedeutet „bedürfnisorientiertes Trockenwerden“?
Stell dir vor, dein Kind lernt laufen. Du würdest nie auf die Idee kommen, ihm einen Zeitplan vorzugeben oder es zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Laufen zu zwingen. Stattdessen beobachtest du aufmerksam seine Entwicklung, bietest Unterstützung an und freust dich über jeden kleinen Fortschritt.
Genauso funktioniert bedürfnisorientiertes Trockenwerden. Es ist ein Ansatz, der die natürliche Entwicklung deines Kindes in den Mittelpunkt stellt. Der Fokus liegt nicht auf einem bestimmten Zeitplan oder einer strengen Methode, sondern auf der aufmerksamen Begleitung deines Kindes auf seinem individuellen Weg.
Als Eltern nehmen wir dabei eine andere Rolle ein: Wir sind nicht die „Trainer“, die unserem Kind eine Fähigkeit beibringen müssen. Stattdessen sind wir einfühlsame Begleiter, die ihr Kind dabei unterstützen, seine eigenen Körpersignale wahrzunehmen und zu verstehen. Wir schaffen einen sicheren Rahmen, in dem unser Kind in seinem eigenen Tempo experimentieren und lernen kann.
Interessanterweise hat dieser Ansatz viel gemeinsam mit dem Windelfrei-Konzept, bei dem Eltern schon von Geburt an die Ausscheidungssignale ihres Babys wahrnehmen und darauf reagieren. Auch beim bedürfnisorientierten Trockenwerden geht es um diese sensible Wahrnehmung und Kommunikation – angepasst an das Alter und die Entwicklung des Kindes.
Dabei steht nicht die Frage „Wann wird mein Kind endlich trocken?“ im Vordergrund, sondern vielmehr: „Was braucht mein Kind jetzt? Wie kann ich es bestmöglich unterstützen? Welche Signale sendet es mir?“ Diese Haltung schafft eine entspannte Atmosphäre, in der dein Kind sich sicher und verstanden fühlt – die beste Voraussetzung für jeden Entwicklungsschritt.
Warum bedürfnisorientiertes Trockenwerden besser ist: Der Vergleich
Wissenschaftliche Studien zeigen immer deutlicher: Die Art und Weise, wie wir unsere Kinder beim Trockenwerden begleiten, hat weitreichende Auswirkungen – nicht nur auf den unmittelbaren Erfolg, sondern auch auf ihre langfristige Entwicklung.
Entwicklung des Kindes
Stell dir vor, dein Kind lernt gerade, seinen eigenen Körper kennenzulernen. Es ist wie ein Forscher, der täglich neue Entdeckungen macht. Der bedürfnisorientierte Ansatz unterstützt diese natürliche Neugierde. Dein Kind darf experimentieren, seine Signale wahrnehmen und verstehen lernen. Es entwickelt ein Gespür dafür, wann es „muss“ und wie sich eine volle Blase anfühlt.
Traditionelles Töpfchentraining hingegen überschreibt diese wertvollen Körpersignale oft mit starren Zeitplänen. Das Kind lernt, seine eigenen Empfindungen zu ignorieren und sich stattdessen an äußeren Vorgaben zu orientieren. Es ist, als würden wir unserem Kind sagen: „Vertrau nicht deinem Körper, sondern der Uhr.“ Eine Botschaft, die weit über das Trockenwerden hinaus Auswirkungen haben kann.
Bedürfnisse des Kindes
Der aktuelle Forschungsüberblick von Wyndaele und Vermandel (2023) verweist auf faszinierende Erkenntnisse: Kinder haben von Geburt an die Fähigkeit, ihre Ausscheidungen wahrzunehmen und zu regulieren. Wenn wir ihnen den Raum geben, diese Fähigkeit zu entwickeln, entstehen erstaunliche Erfolge. Sie lernen früher, ihre Blase vollständig zu entleeren – eine wichtige Fähigkeit, die Harnwegsinfektionen vorbeugt.
Beim Töpfchentraining hingegen beobachten wir oft das Gegenteil: Unter Druck gesetzt, beginnen viele Kinder, ihr „Geschäft“ zurückzuhalten. Sie entwickeln eine Art Vermeidungsstrategie, die zu Verstopfung oder anderen gesundheitlichen Problemen führen kann. Ihr natürliches Gespür für den richtigen Moment geht verloren.
Eltern-Kind-Beziehung
Der bedürfnisorientierte Ansatz schafft etwas Wunderbares: Er stärkt eure Bindung. Dein Kind erlebt: „Mama und Papa verstehen mich. Sie unterstützen mich, auch wenn mal etwas daneben geht. Sie vertrauen darauf, dass ich es schaffen werde.“ Diese Erfahrung stärkt nicht nur das Selbstvertrauen deines Kindes, sondern auch eure Beziehung.
Beim Töpfchentraining sehen wir oft das Gegenteil: Machtkämpfe entstehen, Tränen fließen, Frustration macht sich breit – besonders wenn der erwartete schnelle Erfolg ausbleibt. Die Atmosphäre wird angespannt, das Thema Toilette zum Stressfaktor. Eine Belastung für die wertvolle Eltern-Kind-Beziehung, die völlig unnötig ist.
Bedürfnisse der Eltern
Beim Trockenwerden geht es nicht nur um die Bedürfnisse des Kindes – auch deine Bedürfnisse als Mutter oder Vater sind wichtig. Der bedürfnisorientierte Ansatz berücksichtigt dies: Du darfst Grenzen setzen, wenn dir das Wickeln von großen Kindern zu anstrengend wird. Du darfst dir Unterstützung holen, wenn du unsicher bist. Und ja, du darfst dir auch wünschen, dass dein Kind bald trocken wird!
Der Unterschied zum Töpfchentraining liegt in der Art, wie wir mit diesen Bedürfnissen umgehen. Statt sie gegen die Bedürfnisse des Kindes auszuspielen, suchen wir nach Wegen, die für alle stimmig sind. Das kann bedeuten, dass wir kreative Lösungen finden: Vielleicht klappt das große Geschäft noch eine Weile mit Windel, während das Pieseln schon auf dem Töpfchen funktioniert. Vielleicht brauchst du eine Auszeit vom Thema – auch das ist völlig in Ordnung.
Diese Flexibilität und Ehrlichkeit macht den Prozess für alle Beteiligten entspannter. Du musst keine Superheldin sein, die ihre eigenen Bedürfnisse ignoriert. Ein ausgeruhter, zufriedener Elternteil ist die beste Voraussetzung für eine gelungene Begleitung beim Trockenwerden.
Langfristige Ergebnisse
Die Forschung liefert hier spannende Erkenntnisse: Eine Studie von Duong et al. (2013) verglich Kinder in Vietnam, die früh und sensibel in ihren Ausscheidungsbedürfnissen wahrgenommen wurden, mit schwedischen Kindern, die erst später und mit mehr Druck trainiert wurden. Das Ergebnis? Die vietnamesischen Kinder zeigten eine deutlich bessere Blasenkontrolle. Sie lernten früher, ihre Blase vollständig zu entleeren und entwickelten ein besseres Körpergefühl.
Diese Fähigkeit zur Selbstregulation wirkt sich positiv auf die gesamte weitere Entwicklung aus. Die Kinder sind selbstbewusster, haben weniger gesundheitliche Probleme und entwickeln eine positivere Einstellung zu ihrem Körper.
Umsetzung und Nachhaltigkeit
Ja, bedürfnisorientiertes Trockenwerden braucht Zeit. Es ist wie das Segeln: Manchmal müssen wir den Wind abwarten, manchmal einen Umweg nehmen. Aber die Investition in eine entspannte, positive Grundhaltung zahlt sich aus: Weniger Stress, weniger Windeln, weniger Rückschläge.
Stattdessen entsteht ein natürlicher, nachhaltiger Prozess. Dein Kind lernt nicht nur, zur richtigen Zeit aufs Töpfchen zu gehen. Es lernt auch, seinen Körper wahrzunehmen, seiner Intuition zu vertrauen und selbstbewusst seinen Weg zu gehen. Eigenschaften, die weit über das Trockenwerden hinaus wertvoll sind.
Was es NICHT bedeutet, wenn du deinem Kind den Weg des bedürfnisorientierten Trockenwerdens ermöglichst
„Dann wird mein Kind ja nie trocken!“ – diese Sorge höre ich oft von Müttern, wenn ich von bedürfnisorientiertem Trockenwerden spreche. Dabei basiert diese Angst auf einem Missverständnis. Bedürfnisorientierte Begleitung bedeutet nicht, dass wir passiv bleiben und auf einen „Wundertag“ warten müssen.
Im Gegenteil: Als Eltern nehmen wir eine aktive, aber feinfühlige Rolle ein. Wir sind wie Skipperinnen, die ihr Schiff sicher durch unbekannte Gewässer führen. Wir beobachten die Wetterlage (die Signale unseres Kindes), setzen die Segel (schaffen förderliche Bedingungen) und halten einen klaren Kurs (bleiben in unserer liebevollen Haltung), auch wenn es mal stürmt.
Das bedeutet:
- Du darfst proaktiv unterstützen, wenn dein Kind Interesse zeigt
- Du darfst ein Töpfchen anbieten und es spannend machen
- Du darfst dich freuen und diese Freude auch zeigen
- Du darfst über Ausscheidungen sprechen und sie als etwas Natürliches behandeln
- Du darfst Routinen etablieren, die deinem Kind Orientierung geben
Was du nicht musst:
- Auf einen bestimmten Zeitpunkt oder ein bestimmtes Alter warten
- Dein Kind sich selbst überlassen
- Dich von den Meinungen anderer verunsichern lassen
- Ein schlechtes Gewissen haben, wenn es länger dauert
- Druck aufbauen, wenn dein Kind noch nicht bereit ist
Vertraue darauf: Du kennst dein Kind am besten. Du spürst, wann es bereit ist für den nächsten Schritt. Diese Intuition, gepaart mit deiner liebevollen Begleitung, ist der beste Wegweiser auf eurer gemeinsamen Reise zum Trockenwerden.
Möchtest du wissen, woran du erkennst, dass dein Kind bereit für diesen Entwicklungsschritt ist? In meinem Artikel „Ab wann ist dein Kind bereit fürs Töpfchen?“ findest du eine ausführliche Übersicht der Anzeichen.
Oder lade dir gleich meine Checkliste für den Töpfchen-Start herunter.

Fazit
Trockenwerden ist keine Frage des richtigen Trainings. Es ist eine Entwicklungsreise, die jedes Kind in seinem eigenen Tempo geht. Wissenschaftliche Studien bestätigen: Ein bedürfnisorientierter Ansatz ist nicht nur angenehmer für alle Beteiligten, er führt auch zu besseren langfristigen Ergebnissen als traditionelles Töpfchentraining.
Der große Vorteil: Dieser Weg berücksichtigt sowohl die Bedürfnisse deines Kindes als auch deine eigenen. Du musst keine Superheldin sein, die ihre eigenen Grenzen ignoriert. Stattdessen findest du einen Weg, der für dich UND dein Kind stimmig ist.
Statt auf Druck und starre Zeitpläne zu setzen, begleitest du dein Kind feinfühlig und aufmerksam. Du vertraust seiner natürlichen Entwicklung und bleibst dabei authentisch. Diese Haltung stärkt nicht nur eure Beziehung, sondern gibt allen Beteiligten die Sicherheit, die es für diesen wichtigen Entwicklungsschritt braucht.
Als Elternberaterin begleite ich Familien dabei, ihren individuellen Weg zum Trockenwerden zu finden. Wenn du Unterstützung auf dieser Reise suchst, lass uns in einem kostenlosen Erstgespräch herausfinden, wie ich dich und dein Kind am besten begleiten kann.
Vertrau dir und deinem Kind. Gemeinsam findet ihr euren Weg – entspannt, liebevoll und ganz ohne Druck.